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Der Schein trügt

December 15th, 2011 by G!

Kollege nff hat ja in seinen Beiträgen ausführlich über schlechtes Herbst Winterwetter berichtet und der nächste Sturm scheint schon wieder anzurollen. Bei meinem letzten Flug erwartete uns bei der Ankunft aus LAX folgendes, sehr harmloses, Zürcher ATIS (Flughafenwetter):

LDG RWY 14 ILS APCH, Wind 160/9, visibility 10km or more, Touchdownzone 10km or more, clouds few 6000 ft bkn 7500ft NOSIG

Uns erwartet ein Anflug auf die Piste 14 bei Wind aus Richtung 160 (also quasi Pistenrichtung) mit einer Stärke von 9 Knoten (ca. 16km/h). Die Sicht, auch in der Landezone, beträgt über 10km (das ist das Maximum, das angegeben wird). Der Himmel ist auf 6000 Fuss über Grund 1-2/8 und auf 7500 Fuss über Grund 5-7/8 bedeckt.
 

Airmet: Mod Turb fcst alps and N of alps btn sfc and FL 150 stnr nc

Es werden moderate Turbulenzen in nördlichder Alpen vom Boden bis auf 15’000 Fuss vorhergesagt. Das ganze bleibt stationär und es wird kein Wechsel erwartet.
 

Die Landung aus der Stadt der Engel war wie üblich am Nachmittag in ZRH vorgesehen. Die Planungsgötter wiesen mir für den Flug das “V” zu, was bedeutet, dass ich eine lange Nachtschicht vor mir hatte: Ich startete unseren Airbus 340-300 um 0445 Uhr Lokalzeit ZRH und wurde als letzter um 1155 Uhr Lokalzeit ZRH abgelöst und durfte damit die Landung auf dem Jumpseat mitverfolgen. Ein Blick in die Planungsunterlagen verriet uns starke Westwinde für den ganzen Flug, was eine sehr kurze Flugzeit von nur gerade 10:15 Stunden (sic!) bedeutete (am Tag unseres Abfluges hatten die Kollegen nach JFK neun Stunden Flugzeit…)! Zürich hatte zwar starke Westwinde mit Böen vorhergesagt, aber erst nach unserer Landung. Das hinderte uns nicht, unsere Treibstoffplanung auf böiges Wetter und einen Anflug auf die Piste 28 auszurichten, zumal andere Flughäfen die Westwinde früher prognostiziert hatten. So fiel auch beim Eingeben der Winde in den Computer auf, dass auch für den Sinkflug durchwegs und bis in tiefe Höhen (starker) Westwind vorhergesagt war. Nachdem wir Paris überquert hatten und ich halb tot verschlafen ins Cockpit trat, hatten wir denn noch über 150 km/h Westwind. Umso mehr überraschte mich das oben erwähnte ATIS von ZRH, denn dieses stellte, für sich allein betrachtet, fliegerisch überhaupt kein Problem dar: am Boden wenig Wind und das erst noch in Form von Gegenwind aus der Pistenrichtung (in Zürich ist das sehr oft nicht der Fall). Auch die Sicht und Wolkenuntergrenze problemlos. Liest sich wie ein schöner, problemloser 08/15-Anflug, der uns da erwartet. Piece of cake, wie die Amerikaner sagen würden. Aber ein Blick auf das Airmet verrät, dass die starken Winde auch in der Schweiz noch wehen, sonst käme es nicht zu den Turbulenzen in der beschriebenen Art. Wir waren kritisch, denn aufgrund sämtlicher uns zur Verfügung stehender Informationen mussten wir trotz des harmlosen ATIS davon ausgehen, dass der Anflug nicht ganz einfach werden dürfte. Und ich freute mich, dass ich meine Kollegen aus dem Logenplatz, dem Jumpseat, beobachten durfte *grins*.

Es fing alles mit (zu) hervorragenden Radarvektoren des TWR Mädel’schen Kollegen an die, in Verbindung mit dem Rückenwind, der uns mit zusätzlichen 100km/h von Basel Richtung Osten schob, dazu führten, dass wir zusätzliche Distanz (Trackmiles) benötigten, um den schweren A340 zum Absinken zu bringen. Als wir die Freigabe bekamen, auf den Leitstrahl des Instrumentenlandesystems (ILS) einzubiegen, hatten wir noch immer knapp 100km/h Wind aus Westen!

Auf der ILS, horizontal und vertikal stabilisiert, ergab sichvom dritten Sitz aus folgendes Bild, welches genau in der Flugzeuglängsachse aufgenommen wurde (leider unscharf wegen der Turbulenzen):

… und mit Erklärungen:

1) Unsere Landepiste 14 (und damit unsere Flugrichtung, wo unser Flugvektor hinzeigt!)

2) Die Richtung der Flugzeuglängsachse/-nase

3) Windanzeige (Seitenwind von rechts, irgendwas über 30kt; darum zeigt die Nase nach rechts, der Flugweg aber nach links)

4) Anzeige auf dem Navigationsdisplay, die das Bild auf dem Fenster und die Punkte 1) – 3) darstellt:

– Das gelbe Flugzeug zeigt unser Flugzeug und zeigt die Flugzeugachse (2).

– Der grüne Strich ist die Flugrichtung, die Richtung Piste 14 (1) zeigt

– Die Kompassrose oben am Navigationsdisplay und unterhalb des Horizonts zeigt, dass die Differenz zwischen Flugzeugachse (2) und Flugrichtung (1) rund 15° beträgt!

In der Folge nahm der Wind sogar noch zu: 5.8 nautische Meilen vor der Landung, und damit in rund 600m Flughöhe, las ich auf dem Navigationsdisplay 45kt (ca. 83km/h) ab. Die Windschwankungen verlangten dem Captain, der Pilot Flying war, alles ab und es hat wohl nicht viel gefehlt, dann hätte unser Windshear-Warnungssystem angesprochen, denn am Boden war der Wind wie im ATIS und vom Tower angegeben! Bei einer Windshear-Warnung wären die Kollegen zeitverzugslos durchgestartet. Wir blieben aber innerhalb der Toleranzen und ein Durchstart blieb uns erspart, weshalb mein Kollege den Airbus nach 10:20 Stunden Flug durch die Nacht und einem schweisstreibenden Kampf gegen die Elemente sicher auf der Piste 14. 08/15-Anflug? Der Schein trügt.

Als ich später am Lichtsignal wartete, startet ein Flugzeug über mir durch…

 

Nachtrag aufgrund von Kommentaren im Blog und auf Google+: 

Ich habe mich offenbar nicht klar ausgedrückt: Die Wetterangabe im ATIS war nicht falsch, denn am Boden war der Wind wie gemeldet (ATIS und vom Tower bei der Landefreigabe). Nur gilt das ATIS eben (nur) am Boden und wir kommen aus der Luft… Das einzige was noch ins ATIS gehört, wären allfällige Windshears. Ich gehe aber davon aus, dass es diese vorher nicht gab oder allenfalls nicht gemeldet wurden (beides ist möglich, am Nachmittag als wir ankamen, waren wir noch bei den ersten anfliegenden Flugzeugen). Andernfalls hätte uns der Tower bei der Landefreigabe sicher informiert (und es wäre später ins ATIS aufgenommen worden, falls sie immer noch vorhanden waren). Mein Kollege hat sie auf jeden Fall gemeldet.

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Vielseitigkeit

October 14th, 2009 by G!

… und Flexibilität gehören zum Pilotenberuf:

Auf der letzten Rotation geniesse ich ein kühles

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[Alkohol gibts ja keinen!] bei 38 Grad Celsius in Jeddah (Saudi Arabien) am

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und heute gehts nach Stockholm (ARN/ESSA)

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wo es bei null (!) Grad Celsius schneite, und die Pistenräumfahrzeuge schon im Einsatz waren. Immerhin mussten wir nicht aussteigen … das werde ich erst wieder bei meinem nächsten Flug nach Mumbay (BOM/VABB), wo es mit über 30 Grad wieder erträglich ist! 🙂

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Odyssee

November 3rd, 2008 by G!

Wir befinden uns im Reiseflug. In ein paar Minuten werden wir den Controller auffordern, uns absinken zu lassen, um den Anflug auf den Flughafen von Athen (ATH/LGAV) zu beginnen. Neben meinem Sitz rattert es leise und wir erhalten Post aus Zürich:

Eine überraschende und nicht wirklich positive Meldung, welche dazu führt, dass die Zeit bis zur Landung sprichwörtlich wie im Flug vergeht, denn ab jetzt heisst es, die Lage beurteilen und Eventualplanungen machen: Was, wenn wir nicht landen können, weil auch die zweite Piste blockiert ist? Wohin könnten wir ausweichen? Wie lange könnten wir warten, bevor wir an den Ausweichflughafen fliegen? Unter welchen Umständen könnten und würden wir es riskieren, länger zu warten und dafür den Ausweichflughafen aufzugeben? Wie ist das Wetter an den möglichen Ausweichflughafen und was ist operationell sinnvoll? Einige der Fragen, die in so einem Fall von der Cockpit Crew beantwortet werden müssen. Wir kommen zum Ergebnis, dass wir einen Anflug machen können, dann aber an den verhältnismässig “weit” entfernten Flughafen Thessaloniki (SKG/LGTS) ausweichen müssten. Das Risiko bei einer Blockade beider Pisten bis zu deren Beseitigung zu warten, wollen wir nicht auf uns nehmen. Darum bereiten wir das Flight Management System (FMS) schon für eine Ausweichlandung vor, damit wir im Falle eines Falles bereit wären und damit keine (wertvolle) Zeit verlieren. Zudem gewinnen wir dadurch genaue Angaben, wieviel Treibstoff für den Flug nach SKG nötig wäre, was uns wiederum bei der Entschlussfassung hilft. Am Ende war die ganze Arbeit – gut so – vergebens, denn wir konnten problemlos auf der offengehaltenen Piste landen. Die Passagiere haben von alledem (einmal mehr) nichts mitbekommen. Diejenigen, die kurz nach der Landung nicht schon geistig am Gepäckband gestanden haben, dürften sich gefragt haben, was diese vier Einsatzfahrzeuge der Polizei am Rande des Rollweges sollen [Anklicken für Vergösserung]:

Der nächste Morgen geht ebenso weiter: Die SWISS-Einsatzleitstelle ruft den Captain kurz nach 4 Uhr griechischer Lokalzeit an und teilt ihm mit, dass der Nachtflug LX1850 von Zürich nach Thessaloniki nach Athen ausweichen musste. Das schlechte Wetter verunmöglichte eine Landung. Deshalb müssten wir den nun in Athen stehenden Flieger nach Thessaloniki fliegen, um dort die Passagiere, welche auf ihren Flug nach Zürich warten, nach Zürich zu fliegen. Die Crew, welche den Thessaloniki-Flug hatte, fliege mit unserem Airbus 321 nach Zürich zurück.

Am Flughafen angekommen, machen wir uns an die Planung für den neuen Flug. Da in Thessaloniki die Piste 16 mit dem besten Instrumentenlandesystem geschlossen ist und das Instrumentenlandesystem der noch offenen Piste 10 defekt ist, bleibt nur noch ein sogenannter “Non Precision Approach” (VORDME) übrig. Der Name ist Programm, denn damit ist das für die Planung (und Landung) nötige Mindestwetter (Sicht und Wolkenuntergrenze) sehr hoch. Gemäss den uns vorliegenden Wetterdaten ist es aber plan- und landbar. Zur Sicherheit bestellen wir kurz vor dem Zurückstossen des Flugzeuges um 0630 Uhr Lokalzeit das aktuellste Wetter. Plötzlich Nebel! Die Sichtweite beträgt 150 Meter. Wir benötigen 2000 Meter. Absolut keine Chance für eine Landung. Wir brechen die Übung ab und telefonieren mit der Einsatzleitstelle. Diese telefoniert mit dem Tower von Thessaloniki und dann wieder mit uns. Resultat: Warten, bis ein Trend erkennbar ist. Die Sichtweite schwankt in der Folge zwischen 150 und 250 Meter. Wir telefonieren und warten. Plötzlich Hoffnung: leichter Wind und die Sichtweite steigt auf 1000 Meter. Es wird bald losgehen, wir sind bereit. Dann aber die Ernüchterung: der Wind bricht zusammen und damit auch die Sicht: wieder unter 500 Meter. Warten. Als das Wetter fliegbar wird und wir letztendlich nach Thessaloniki abheben, ist es 1006 Uhr Lokalzeit.

Vierzig Minuten später funken wir zum ersten Mal mit Thessaloniki: Der Controller meldet uns, dass das Wetter wieder schlechter geworden sei und bereits mehrere Flugzeuge durchgestartet seien. Derzeit würden noch zwei Flugzeuge in einem Holding für einen weiteren Anflug warten. Dasselbe Spiel wie am Vortag geht los: Szenarien ausdenken, Rechnen, Nachrichten tippen – Wie lange können wir warten? Wann macht es Sinn, einen Anflug zu starten und was hat die Einsatzleitstelle mit uns vor? Was sind die Alternativen? Wann weichen wir wohin aus? … Wir fliegen in ein Holding nahe Thessaloniki, hören den Towerfunkverkehr ab, wechseln Nachrichten mit Zürich aus und warten. Nach 15 Minuten ist die Sicht über dem Miniumum und der erste Flieger startet einen (erneuten) Versuch und landet. Der zweite ebenso. Jetzt oder nie, wir versuchen es auch, die Werte sind erfolgsversprechend. Wir machen einen “monitored non precision approach” (dazu später einmal mehr…), meinen ersten auf der Strecke, denn so etwas (non precision approach mit sehr schlechtem Wetter) kommt auf unserem Streckennetz nur sehr selten vor. Das Wetter reicht aus, wir können in Thessaloniki landen. Einundvierzig Minuten nach der Landung heben wir Richtung Zürich ab. Mit uns an Bord 118 Passagiere, die um diese Zeit schon längst in Zürich oder in einem anderen Flugzeug nach wohin auch immer sein sollten.

Beim Aussteigen in Zürich haben die meisten der sichtlich müden Passagiere begriffen, dass weder die Crew, noch Swiss Schuld daran haben, dass sie mit rund sieben Stunden Verspätung gelandet sind.

Wie Odysseus finden auch wir am Ende mit Umwegen und müde nach Hause…

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