Bei meinem ersten Strandbesuch des Jahres in Athen trübten für eine kurze Zeit dunkle Wolken meine hervorragende Laune, als ich die letzte Ausgabe der Weltwoche durchblätterte. Darin war ein Interview mit Elisabeth Simonius abgedruckt, das den Titel trägt, den ich für diesen Beitrag auch gewählt habe. Madame le Consul Elisabeth Simonius war von 1995-2002 Mitglied im Crossair-Verwaltungsrat. Zunächst als einfaches Verwaltungsratsmitglied, und später – so auch im Jahr 2001, als am 24. November der Crossair Avro in Bassersdorf abstürzte – bis Ende 2002, Vizepräsidentin des Verwaltungsrates.
Es gäbe zu zahlreichen Aussagen von Frau Simonius viel zu sagen bzw. würde ich nur allzugerne bei der einen oder anderen Antwort etwas nachfragen. Das lasse ich aber, und beschränke mich auf eine Aussage von ihr, die ich nicht unkommentiert lassen kann.
Ein Auszug aus dem Interview [Quelle: Weltwoche 19/2008]:
Weltwoche: Der Bundesstaatsanwalt sagt ferner, Suter habe von seinen Piloten zumindest die Fähigkeit und Bereitschaft gefordert, bei schlechter Witterung auch unter der Mindestflughöhe anzufliegen.
E.S.: Das stimmt nicht.
Weltwoche: Doch genau dies passierte dem Unglückspiloten von Bassersdorf: Er sackte bei miserablem Wetter unter die Mindestflughöhe.
E.S.: Wenn Sie als Autofahrer schon mal in einen Schneesturm mit Nebel zugleich gerieten, dann ahnen Sie, was da geschah: Sie wissen dann nicht mehr, wo unten und oben ist – loss of control. Bei einem Flugzeug ist es dasselbe. Ich habe es erlebt damals in Bassersdorf, ich war dort. Die Flugsicherung hätte bei diesem Wetter den Piloten nicht anweisen dürfen, die Piste 28 anzusteuern, denn ausgerechnet diese Piste hatte kein Instrumentenlandesystem.
Richtig ist, dass man im Nebel die Orientierung und damit auch die Kontrolle verlieren kann. Das kann – sollte aber nicht – auch im Flugzeug geschehen. Das wäre dann “loss of control”, wie es E.S. nennt. Sinn und Zweck der Instrumentenflugausbildung ist jedoch, genau das zu verhindern und die Lage des Flugzeuges im Raum unabhängig vom Wetter, anhand der Instrumente zu erkennen und zu kontrollieren.
Absolut den festgestellten Tatsachen widersprechend und damit falsch ist aber, dass es beim Absturz in Bassersdorf zu solch einem “loss of control” gekommen sei. Das Gegenteil ist der Fall: es handelte sich um einen sogenannten “controlled flight into terrain” (CFIT), also einen “kontrollierten Flug in den Boden”. Dazu ein Auszug aus dem 169-seitigen, offiziellen Unfallbericht (Schlussbericht Nr. 1793) des Büros für Flugunfalluntersuchungen (BFU), der online abrufbar ist (Seite 130):
“Der Unfall ist darauf zurückzuführen, dass die Maschine im Endanflug des standard VOR/DME approach 28 in Eigennavigation gegen einen bewaldeten Höhenzug flog (controlled flight into terrain – CFIT), weil die Flugbesatzung unter Instrumentenflugbedingungen den Sinkflug unter die Mindesthöhe für den Anflug fortsetzte, ohne über die dazu notwendigen Voraussetzungen zu verfügen. Die Flugbesatzung leitete das Durchstartmanöver zu spät ein.
Die Untersuchung hat folgende kausale Faktoren für den Unfall ermittelt:
• Der Kommandant unterschritt die Mindesthöhe für den Anflug (minimum descent altitude – MDA) des standard VOR/DME approach 28, ohne über Sichtkontakt zur Anflugbefeuerung bzw. zur Piste zu verfügen.
• Der Copilot unternahm keinen Versuch, die Weiterführung des Fluges unter die minimum descent altitude zu verhindern.”
Ich halte – basierend auf dem Untersuchungsbericht des BFU – fest:
1. Es handelt sich um einen kontrollierten Flug in den Boden und damit eben gerade nicht um einen “loss of control”, wie E.S. dies im Interview sagt.
2. Die Mindestflughöhe wurde bewusst unterschritten (Unfallbericht Seite 128: “Der Kommandant unterschritt bewusst die Mindesthöhe für den Anflug (minimum descent altitude – MDA) des standard VOR/DME approach 28.”).
3. Das Wetter war in der Tat für den Anflug ungenügend und die Pistenauswahl angesichts des Anflugtyps durch skyguide falsch. Das erklärt aber nicht den Absturz. Hätte die Crew das gesetzlich vorgeschriebene, offizielle Verfahren eingehalten und die Mindestflughöhe (MDA) nicht bewusst unterschritten, hätte zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr für die Passagiere und die Besatzung bestanden. Die in diesem Fall einzig richtige Lösung wäre gewesen, den Anflug auf der MDA (und nicht darunter!) abzubrechen und durchzustarten.
Wenn ich nun die im Unfallbericht festgestellten Tatsachen mit der Aussage der langjährigen Crossair-Verwaltungsrätin und Vizepräsidenin Simonius vergleiche, lässt sich festhalten, dass die Aussage von Frau Simonius betreffend “loss of control” den festgestellten Tatsachen des BFU widerspricht.
Für diese Aussage von Frau Simonius gibt es für mich zwei mögliche Erklärungen:
1. Entweder kennt Elisabeth Simonius die Unfallursache und damit den Unfallbericht nicht;
Wenn dem so wäre, würde ein langjähriges Mitglied und zum damaligen Zeitpunkt die Vizepräsidentin des obersten Führungsgremiums der Crossair, deren Flugzeugabsturz 24 Menschen das Leben kostete und 9 zT. schwer verletzte, die Ursache des grössten Unglücks der Firmengeschichte der Crossair nicht kennen. Dann würde sich mir unweigerlich die Frage stellen, wie sehr sich Frau Simonius mit der Materie und dem tragischen Vorfall auseinander gesetzt hätte (oder eben nicht). Wir reden nicht von einem x-beliebigen Angestellten der Crossair, sondern von der Vizepräsidentin des obersten Führungsgremiums und damit der hierarchischen Nummer 2 nach dem Gründer Moritz Suter. Wenn dem so wäre, wäre ich interessiert zu wissen, welchen Stellenwert Menschenleben für Frau Simonius und die übrigen Verwaltungsratsmitglieder haben. Denn darum geht es bei der Frage der Flugsicherheit, welche gemäss ihren Aussagen im Interview in Verwaltungsratssitzungen stets ein Thema war. Ausserdem würde sich die Anschlussfrage aufdrängen, wie genau sich Frau Simonius (bzw. im Sinne einer Verallgemeinerung der übrige Verwaltungsrat) mit anderen flugsicherheitsrelevanten Belangen auseinandersetzte bzw. dies aufgrund ihrer Kenntnisse überhaupt konnte, wenn sie sogar in diesem gravierenden Fall, bei dem Menschen starben und verletzt wurden, die festgestellten Tatsachen nicht kennt…?! … wie hätten später Konsequenzen aus dem Zwischenfall gezogen werden sollen und können…?! usw.
2. oder Elisabeth Simonius kennt die Unfallursache und damit den Unfallbericht.
Wenn Frau Simonius hingegen den Unfallbericht und damit die Unfallursache kennt, und sie zudem die im Interview gemachte Aussage tatsächlich mit diesem Wortlaut gemacht hätte, würde sie zwangsläufig eine bewusst falsche Aussage machen. Da wäre dann definitionsgemäss eine Lüge. Ich möchte hiermit ausdrücklich darauf hinweisen, das ich der Madame le Consul Elisabeth Simonius keinesfalls unterstelle, dass sie im Interview gelogen habe, sondern nur darauf hinweisen möchte, unter welchen Voraussetzungen man beim Lesen ihrer Antworten als Leser davon ausgehen müsste, dass dem so wäre. Haarige Verleumdungen, quasi.
Welche und ob eine von den oben genannten Alternativen zutrifft, weiss ich nicht. Zudem liegt es mir fern, Frau Simonius oder der übrigen Crossair-Führung (die derzeit sehr klagefreudig ist) diesbezüglich etwas zu unterstellen. Falls aber eine der beiden Möglichkeiten zutreffen sollte, stellt dies Frau Simonius in ihrer Eigenschaft als Nummer zwei der Crossair zum Unfallzeitpunk, so oder so ein äusserst schlechtes Leistungszeugnis aus. Es stellt sich die Frage, wie man dies einerseits im Hinblick auf die übrigen Aussagen von Frau Simonius im Weltwoche-Interview zu werten hat und andererseits, wie man im Crossair-Verwaltungsrat den Kontrollpflichten (der VR ist oberstes Kontrollorgan der Gesellschaft!) nachgekommen ist… Aber eben, alles im Konjunktiv, alles “was-wäre-wenn”-Gedankenspiele… Hoffen wir aber, dass es um die Qualifikationen der betroffenen Piloten in jedem Fall besser gestanden haben möge…
Wie dem auch sei, muss ich noch erwähnen, dass ich von den Weltwoche-Journalisten, welche das Interview mit Frau Simonius geführt haben, enttäuscht bin. Nicht nur die ungenaue bzw. falsche Fragestellung (das Flugzeug “sackte” nicht unter die Mindestflughöhe, es wurde bewusst und damit aktiv unter die Mindestflughöhe geflogen), sondern auch ein Nachfragen/-haken (auch und nicht nur bei der hier dargestellten Aussage von Frau Simonius) hätte ich erwartet und erhofft.
Zuguterletzt hoffe ich, wegen diesem Beitrag nicht aufgrund von “haarigen Verleumdungen” vom Ehemann von Frau Simonius – der Rechtsanwalt ist – eingeklagt zu werden. Aber eine solche Reichweite dürfte mein Blog nicht haben… Falls sie, Frau Simonius diesen Beitrag dennoch lesen sollten, würde ich ihnen gerne jederzeit die Möglichkeit bieten, in meinem Blog Stellung zu meinen Gedanken/Bedenken zu beziehen und mir in einem Interview meine beim Lesen des Weltwoche-Interviews offenengeblieben Punkte zu beantworten…
Schliesslich will Frau Simonius mit ihrem Interview dasselbe erreichen, wie ich mit diesem Beitrag: Dass Tatsachen den Weg an die Öffentlichkeit finden – und keine haarige Verleumdungen.
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