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Mittelstrahlurin

October 27th, 2007 by G!

Wir Piloten müssen – im Gegensatz zu anderen Berufsgruppen (wenn das alle müssten, wäre die Arbeitslosenquote wohl um einiges höher…) – nicht nur halbjährlich im (Simulator-)Check beweisen, dass wir handwerklich noch auf der Höhe sind, sondern wir müssen von Gesetzes wegen auch einmal jährlich zum medizinischen Untersuch. Oder wie wir das nennen: "s’Medical mache".

Da man ja im Grossen und Ganzen weiss, wie’s um die eigene Gesundheit steht, ist das Medical eigentlich keine grosse Sache. Faktisch besteht aber immer die Möglichkeit, dass im Blut, im Urin, bei den diversen Gleichgewichts- und Koordinationstests, beim Abhören des Herzens oder der Lunge, beim EKG oder beim Augentest etwas erkannt wird, das die Flugtauglichkeit beeinträchtig und man die Lizenz und damit den Beruf – bzw. die Berufung – verliert. Gerade als Brillenträger, dem die Augen schon mit 17 den ersten Strich durch die Lebensrechnung machten, bin ich immer wieder erleichtert, wenn ich das offiziell zur Lizenz gehörende BAZL-Papier unterschreiben kann.

Der Check findet bei SWISS Medical Services in Kloten statt – übrigens die Anlaufstelle für alle Fragen zur Reisemedizin (Stichwort: Prophylaxe, Impfungen usw.), auch für nicht Swiss-Angestellte! Neu für mich war, dass der Fragebogen (Lieblingsfrage: "Konsumieren Sie Haschisch oder andere Drogen?" – erinnert mich an die Frage beim Kauf des Dell-PCs: "Beabsichtigen Sie, das Gerät zum Bau von Massenvernichtungswaffen zu benutzen?" – oder bei der Einreise in die USofA: "Waren Sie an den Verbrechen des Nationalsozialistischen Regimes beteiligt?" – Es gibt Fragen, die beantworten sich irgendwie selbst…) nicht mehr mit Kugelschreiber auf Papier, sondern am PC ausgefüllt werden muss. Dabei dachte ich schon, die beiden PC-Terminals im Warteraum seien zum Websurfen, weil die Wartezeiten (wie für einen Termin…) so lange seien. Den Hinweis "Nur für Piloten und ATC zum Ausfüllen des medizinischen Fragebogens" sah ich erst beim Ausfüllen. Der PC-Fragebogen ist eine hervorragende Sache, da nicht zum 10132ten Mal die Adresse und die Lizenznummer von Hand eingetragen werden muss. In der Eingabemaske ist alles vorbereitet, man muss es nur noch überprüfen oder eben halt: checken. So weit so gut. Wenn allerdings schon der Login nicht klappt, weil der BAZL-Server, mit dem die Terminals verbunden werden sollten, schon im Wochenende ist, stockt das System. Naja, nach 10 Minuten klappts, ich habe alles gecheckt und bin ready for medical. Da fordert mich schon eine freundliche Dame auf, ihr ins Labor zu folgen.

Nach einer Gewichtskontrolle, die – wie mir die Dame nach einem freudschen Versprecher versichert – keine Kontrolle, sondern eine Gewichts"feststellung" ist, kommt mein absoluter Lieblingsatz, auf den ich schon gewartet habe:

"So, dann bräuchten wir jetzt noch ein wenig Urin. Mittelstrahlurin. Wissen Sie noch wie das geht?".

Mittelstrahlurin. Man muss sich dieses Wort langsam auf der Zunge vergehen lassen. Miiiiitteeeel-straaaaahl-uuuuuurin. "S’ WC isch grad dusse links und de Becher [natürlich der für den Mittelstrahlurin!] isch i de Durchreiche."

Ok, ich gebe es hiermit öffentlich zu: ich bin kein "auf-Kommando-Pinkler". In meinen bisherigen Medicals war ich schon mehrmals im Klo, schaute den Becher in der Hoffnung an, meine Blase verstände das Zeichen, wartete dann aber vergebens. Auch der Gedanke an den geforderten "Mittelstrahlurin" hilft nicht wirklich. Das Wort klingt irgendwie technisch oder maschinell und ist für mich verwandt mit Wörtern wie Mehrzweckgewehr, Pack Flow Control Valve oder Multioptionsgesellschaft. Allesamt keine Wörter bzw. Gedanken, die meine Blase zum Leeren animieren. Und wehe, man verbraucht den Zeitkredit der freundlichen Labordame: "Sie chönned sös au spöter nomol probiere", tönt es in solchen Fällen dumpf durch die Durchreiche. In meiner Medicalkarriere schon mindestens zwei Mal erlebt. Spätestens seit Deutschland sucht den Superstar weiss jeder, dass, wenn nichts kommt, es aber jetzt kommen muss, und man daran denkt, dass es kommen müsse, nichts kommt. Das gilt bei Songtexten und beim Urin. Und erst Recht beim Mittelstrahlurin.

Nun ja, vergange Zeiten. Wenn man ein Problem nicht direkt lösen kann, sprich in meinem Fall nicht auf Kommando pinkeln, dann muss mann einen Umweg finden oder den Beruf wechseln. Letzteres kam mir nicht (freiwillig) in den Sinn, drum habe ich einen Umweg gefunden. Seit ich mir der Problematik bewusst bin, heisst die Lösung seit einigen Medical-Zyklen schlicht und einfach: Wasser. Nach dem Aufwachen trinke ich erst einmal einen halben Liter Wasser. Dann das Frühstück mit der üblichen Ration Getränke, dann stetig nachschütten. Es ist dasselbe wie bei Biertrinkern: der Durst ist nicht der Grund, sondern das Reinschütten als solches. Ein steter Druck auf der Blase muss vorhanden sein. Und kurz vor dem Termin noch einmal gezielt Nachfüllen, sicher ist sicher. Und natürlich – ausser nach dem Aufstehen – nicht aufs Klo. Wirkte bisher immer. Ok, zum Teil drückt die Blase schon beim Ausfüllen der Marihuana-Frage ganz ordentlich, aber das ist es mir wert, denn bisher habe ich vor lauter Blasennervösität noch nie die falsche Antwort angekreuzt…

Für alle, die bis hierher gelesen haben und die "nöd wüssed wie’s gaht" oder wer wissen will ob’s diesen Begriff auch in Englisch und Französisch gibt, hier die Lösung auf alle Fragen:

[Zum Vergrössern Bild anklicken]

 

PS: Ich habs fristgerecht – also ohne Zwischenruf der Dame – geschafft den Mittelstrahlurin abzuliefern und das Bild zu schiessen…

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Posted in on the ground, technique matters | 8 Comments »

8 Responses

  1. nff Says:

    Das gefällt mir halt schon an unserem Beruf. Alles ist wichtig, normiert, geregelt und nicht zu vergessen: wird qualifiziert. Sogar das Pissen!
    ES LEBEN DIE PILOTEN!
    Die menschlichen Ausscheidungen werden nach meiner Meinung sowieso immer wichtiger. So wichtig sogar, dass selbst unsere Gewerkschaft und mit Sch… – tschuldigung – “Seichvorschlägen” konfrontiert.

    Schönes Wochenende wünscht nff

  2. IVI Says:

    Hoppla lätz…
    Ich denke, da hat ein Doktor vorgeschrieben, was nacher die Praxisassistentin nachtippen musste. Ich hab alleine beim überfliegen 7 Fehler entdeckt. “Mr. Prober” wäre sicherlich beleidigt :D.
    Und wie Viele Drittel Urin hat man denn eigentlich? Erste Drittel verwerfen… Gibt es mehrere erste Drittel?

  3. IJL Says:

    Das ist so ziemlich der einzige Moment in meinem weiblichen Dasein, wo ich mir immer wünsche ich wäre ein Mann. Ihr habt es da viel einfacher als eine Frau. Geht bestimmt easy, einfach mal drunter halten ohne dabei jedesmal Verrenkungen machen zu müssen 😉 Wie oft habe ich schon zu hören bekommen, dass ist zu wenig, bitte noch mal. Neulich meinte eine Kollegin, das wäre bestimmt so ein Fall für die versteckte Kamera: Frauen im engen WC bei dem Versuch den Mittelstrahlurin im Becher einzufangen….

  4. G! Says:

    @NFF
    Besser kann man es nicht sagen :-). Drum schien und scheint mir eine juristische Ausbildung – neben der Stickschüttlerei – eine treffende Wahl. Gespannt sein darf man, was geschieht, wenn die klaren Regeln missachtet werden… in bälde zu sehen in Sachen Anklage der Staatsanwaltschaft.
    Recht gebe ich Dir auch in Sachen Vorschläge unseres Vereins, mehr ist dazu nicht zu sagen…

    @IVI
    Hauptsache das Mitteldrittel trifft 🙂

    @IJL
    Haha…stimmt, das ist (der wohl einzige) Vorteil den Männer ggü. Frauen haben. Immerhin, gönn uns doch den 😉

  5. IJL Says:

    Na ich könnte Dir da noch viele weitere Vorteile aufzählen… Ich sage nur Schubladen Denken 😉

  6. G! Says:

    … macht das Leben SOOOO VIIIIELLLL einfacher (wenn da nicht noch eine Spezies wäre, die nicht so denkt) 😀

  7. mpb Says:

    Hehe… genau dieses Plakat habe ich erst gesehen, nachdem ich mich in den Becher erleichterte…
    Nun ja… 1 Drittel dessen, was ich an diesem Morgen AUF KOMMANDO hergeben musste, hätte ohnehin nicht gereicht 😉

  8. G! Says:

    DAS kenn ich … 🙂

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