Journalistische Inkompetenz III
September 20th, 2007 by G!Einmal mehr ein Beitrag, welcher die Oberflächlichkeit und Inkompetenz der heutigen Medienberichterstattungen aufzeigt.
Wer sich die Zeit nimmt, und die Bilder zu redaktionellen Artikeln genauer anschaut (oder bei gewissen Zeitungen eher umgekehrt) muss zwangsläufig desöftern lachen bzw. weinen. Dies gilt im Besonderen für aviatische Themen, wie die nachfolgenden beiden Beispiele zeigen:
- Der Blick berichtete über die Kündigungen im Regional Segment der Swiss. Bekanntlich – www.swiss.com hilft im Zweifelsfall weiter – besteht die Regionalflotte von Swiss European Air Lines (so heisst die Tochtergesellschaft offiziell) aus Flugzeugen des Typs AVRO RJ 100 und RJ 85. Dies hindert den Blick aber nicht daran, ein Bild eines Airbus-Cockpits (wo keine Fluktuation herrscht) zu zeigen:
- Bei 20min.ch können derzeit Bubenträume wahr werden: In einem Wettbewerb wird ein "Flug im Swiss Flugsimulator nach New York" verlost. Das wird auf der Frontpage dementsprechend – und noch richtig – mit einem Bild eines Airbus 330 angekündigt:
Ich habe das Gefühl, dass der Flug trotz allem nicht nach NY geht. Dies nicht, weil ich mir nur schwer vorstellen kann, dass ein so langer Simulatorflug verlost wird, sondern weil es ein Embraer 145 auch mit vollen Tanks nicht nach NY schafft, denn gezeigt wird ein E145 Cockpit:
Die Berichterstattung zu Flugunfällen ist – mehr noch als andere aviatische Themen – prädestiniert für journalistische Inkompetenzbekundungen. Dies, einerseits weil – wie in aviatischen Themen generell – in Absenz jeglicher Fachkompetenz etwas be- bzw. geschrieben wird. Dazu kommt aber andererseits, dass die Berichterstattung sehr zeitkritisch ist und aufgrund einer unvollständigen Sach- und Faktenlage etwas geschrieben werden muss, da die Medien "aktuell" sein müssen. Und wen interessiert schon ein Artikel zu einem Absturz, wenn nicht schon die wildesten Mutmassungen zur Absturzursache mit hineingepackt würden? Aktuellstes Beispiel ist der Absturz von Phuket / Thailand:
Im Blick wird unter dem vielsagenden Titel "Horror-Crash in Thailand" schon in der Einleitung der Absturz beschrieben:
"Heftiger Regen und schlechte Sicht – bei der Landung kommt es zum Drama: Die Maschine gerät aus dem Gleichgewicht, wird in zwei Teile gerissen und fängt Feuer."
Wer aber denkt, dass eine solche Berichterstattung nur in den Medien mit den vielen Bildern bzw. grossen Buchstaben zu finden ist, irrt gewaltig, denn die alterwürdige NZZ sah es genau so, formulierte es aber selbstverständlich intellektueller:
"Das Flugzeug geriet bei einem Landeanflug aus der Balance und wurde auseinandergerissen."
Die Absturzursache ist demnach: Zereissen des Flugzeugs in zwei Teile durch Gleichgewichtsverlust. Aha. Die erste Frage, die sich mir als Leser stellt ist, wie ich mir eine Maschine, die "aus dem Gleichgewicht" geraten ist, vorstellen muss? Und wie kommt es dazu? Nun ja, richtig beantworten kann ich die Frage nicht, deshalb gehe ich – im Sinne einer Arbeitshypothese – davon aus, dass der Journalist "schwanken", "schütteln" oder etwas in dieser Richtung meint. Falls ich mit meiner Annahme richtig liegen sollte, ist mir aber ganz und gar nicht klar, weshalb die Maschine deswegen "in zwei Teile gerissen" werden soll?! An dieser Stelle ein Entwarnungshinweis für Leser mit Flugangst: ein Flugzeug wird nicht einfach – auch bei Turbulenzen oder "Schütteln" – auseinandergerissen…
Einen Tag später sind die Medien aber schon schlauer und berichten darüber, dass der Pilot vor einer "gefährlichen Windschere" gewarnt worden sei. Was das sein soll? Eine gute Frage… An dieser Stelle kann ich auf den Beitrag im Medien Müll-Blog verweisen… allerdings nicht ohne den Hinweis, dass nicht nur 20min, sondern auch Blick, NZZ, Tagesanzeiger, Der Spiegel und sogar die FTD diesen Begriff verwendeten (Suche nach "Windschere" bei Google)… ein Journalist schreibt etwas in einer Agenturmeldung und alle verwenden es ungefiltert…und weil’s überall steht, stimmts. Das stimmt mich nachdenklich…
Posted in in the air, master warning | 16 Comments »
September 20th, 2007 at 19:32
Hoi G
Also wie wäre mit folgender Logik: Eine Windschere schneidet die Luft und wenn man da nicht schnell genug durchfliegt, dann verliert das Flugi nicht nur die Balance, nein es kommt noch schlimmer, es wird in 2 Teile geschnitten 😉
Und wegen dem Simi Flug, evtl. bekommt der vorher gaaaaanz viele Zusatztanks eingebaut oder er macht gaaaaanz viele Zwischenlandungen 😀 oder aber sie fliegen von La Guardia nach JFK…. wer weiss…. Aber ist mal super, jeder andere ist froh wenn er fix und heil aus dem Simi rauskommt und hier bekommt man gleich mal 7-8 Stunden gratis. Nicht schlecht…
Gruss
IJL
September 21st, 2007 at 8:21
Hallo G!
Sehr schön aufgezeigt! Von den Journalisten dürfte man theoretisch ein bisschen mehr Research-Einsatz vor dem veröffentlichen eines Artikels erwarten…(vorallem im Zeitalter der zahlreichen Online-Möglichkeiten) es ist buchstäblich Haarsträubend was da immer wieder mal publiziert wird, kein Wunder sind in der Bevölkerung soviele Fehlinformationen über die Luftfahrt vorhanden…
September 21st, 2007 at 11:24
@IJL
Deine Scherentheorie geht auf, so hab ich das noch nicht gesehen, in dem Fall: mein Fehler 😉
Tja, 20min lässt sich nicht lumpen und zahlt auch noch den Sim-Umbau 🙂
@Angi
Danke. Hab ja auch schon aufgezeigt, wie einfach es heute wäre – Aufwand maximal 2min – so etwas zu überprüfen, aber das ist scheinbar zuviel verlangt. Wenn alle Berufsgruppen so arbeiten würden… Und die Fehlinformationen bzw. die Arbeitsweise dürfte eben leider nicht nur in luftfahrtspezifischen Beiträgen so sein und DAS ist gefährlich!
September 21st, 2007 at 11:41
Ich werde das heute Mittag mal in LIS ausprobieren, ab und an hat es da ja so ein paar Scheren. Hui dann muss ich aber schnell fliegen, damit ich einem Stück durchkomme…
Ja, ja 20 Minuten zahlt den Simi Flug und Einstein nimmt Euch das Problem der effizienten Boardings auf dem Avro ab… ist schon ne seltsame Airline ;-D und die Leute scheinen sich wie irre für diesen Boarding Test zu bewerben…
In diesem Sinne, ein schönes WE
IJL
September 23rd, 2007 at 11:44
Hey IJL, ich hoffe Du konntest den Scheren entweichen, einfach schneller als sonst oder kurviger anfliegen 😀
Die TV-Sendung Einstein? Hab ich erst davon gelesen, dass es die gäbe, aber noch nie gesehen…dann freu ich mich schon auf die 20min Turnaroundtime mit einem 321er 😀
Zwar etwas spät, aber immerhin noch schönen Sonntag!
September 23rd, 2007 at 22:36
Hoi G
Es ging, aber wir mussten den Kopf einziehen, so eine Schere die immer wieder auf und zu geht ist doch recht tricky, weil Gas geben, Schlagenlinien fliegen und noch die Balance halten ist ganz schön niveauvoll 😉
Hier der Link zu dem Boarding Event: http://www-internet.sf.tv/sf1/einstein/manual.php?docid=Boarding&catid=einsteinmanual&sid=729888463
Hm, 20 min Turnaround auf der 321, das geht bestimmt in 15 min (mit etwas Glauben an Kaizen und der evtl. Nutzung alle Exits), die echte Herausforderung kommt dann mit 20 min auf der 340….
Einen schönen Wochenanfang!
September 24th, 2007 at 7:44
Wow, ganz schön anspruchsvoll, aber schön, dass es Dir/Euch gelungen ist, den Scheren zu entkommen 🙂
Aha, interessant, danke. Dann bin ich schon mal auf die Ergebnisse gespannt…
Danke, Dir auch!
September 25th, 2007 at 10:46
Na wenn man die Statistik anschaut wieviele Slides so pro Jahr aus Versehen aktiviert werden und was so ein Slide kostet, dann sollte man doch evtl. da was erfinden, anstatt erst umständlich andocken, einfach Tür auf, Slide raus, dann kann man die Paxe am besten gleich rausschubsen, geht bestimmt flotter als wenn die erst von ganz hinten nach vorne müssen :-D. Beim Boarding fängt man am Besten oben am Jetty an zu sprinten und spurtet in einem durch auf den Sitz. Kleiner Anreiz, keine Sitze mehr vergeben…. dann sind die Paxe von ganz alleine schneller drin… Warum überhaupt noch lästige Paxe transportieren, die kosten doch nur Zeit 😉
September 25th, 2007 at 11:28
Gute Idee, ich werde Deinen Comment gleich mal im O-Ton weiterleiten… und wenn sich das durchsetzt dank ich Dir schon jetzt für die 20min Turnover-Zeit 😉
September 27th, 2007 at 11:36
Die 20Minuten erklaert das Prinzip von Wind-shears aufgrund von Scheren. Bin gerade im ausland, habe probleme mit der Tastatur
mehr dazu auf meiner seite. das mit dem E145 cockpit ist mir auch schon aufgefallen. Das andere hab ich noch nie gesehen.
September 28th, 2007 at 1:30
Entspann Dich, Flieger-Kamerad! Redaktionelles Bildmaterial dient zur Illustration, als Blickfang. Es muss nicht haargenau mit dem Inhalt übereinstimmen. Die Aussage “es geht um Flugzeug und Cockpit” reicht dem Leser. Die meisten wissen eh nicht, was das es genau ist. Es ist auch nicht wichtig, solange nicht völlig falsche oder widersprüchliche Aussagen getroffen werden.
In diesem Sinne, immer eine gute Landung!
September 28th, 2007 at 7:34
Na stell Dir mal vor 20 Min. Turnover Zeit, was kann man in den 20 Minuten alles machen…
Wenn demnächst wieder ein Flugzeug in Schlagenlinien und immer wieder Gas gebend durch so eine schere fliegt, heisst es bestimmt: Alkoholisierte Piloten versuchen zu landen 😀
September 28th, 2007 at 11:19
@Frank
Du hast völlig Recht, dass der Durchschnittsleser eben keine Detailkenntnis hat. Wer garantiert mir dann aber, dass andere Bilder nicht auch (“völlig”) aus dem Zusammenhang gerissen sind und als Blickfang wirken? Was ich damit aufzeigen wollte (vgl. andere Beiträge dazu), ist die oftmals sehr unprofessionelle (anders kann man es wohl nicht nennen) Arbeitsweise in einem Fachgebiet, dass ich beurteilen kann. Wenn das Bild nicht passt, sollte mE. ein Hinweis (“Symbolfoto”) angebracht werden. Wobei auch das nicht wirklich hilft, wenn absichtlich zum Leserfang Fotomontagen udgl. veröffentlicht werden…
Und gerade im Beispiel mit der Fluktuation und dem immer wieder aufs Parkett gebrachten Ex-Swissair-vs-ex-Crossair Frage wäre das richtige Bild angebracht. In den Zeiten von Computern, Internet und Google ist es denn auch nicht schwierig, das Geschriebene bzw. Gezeigte zu überprüfen.
@IJL
Spontan kommt mir grad etwas in den Sinn: 20min lesen 🙂
Haha, genau, dabei gilt es doch nur der Schere zu entkommen 😉
September 28th, 2007 at 21:18
Na ja, egal. Ich hab mir’s abgewöhnt, Medien zu kritisieren. Die hören eh nicht auf einen und das meiste ist auch nicht kriegsentscheidend. Aber wenn Du Dich mal richtig austoben willst, dann guck Dir mal die Flugangst schürende Propaganda unter angstflug.de an.
Viel Spass! 😉
September 29th, 2007 at 21:24
Da Journalisten eben nur zugerne andere kritisieren darf man sie sicher auch. Kriegsentscheidend ist es sicher nicht, da geb ich Dir Recht, aber es zeigt die Arbeitsethik, Professionalität und Arbeitseinstellung…
Schau mir den Link mal an, danke.
Danke, schönes weekend.
March 2nd, 2008 at 15:40
[…] aus Süd-Südwest mit ca. 45-75, Regen, bewölkt, 10 Grad; Scherwinde (und nicht "Windscheren") bei allen Pisten und es ist mit Turbulenzen im Anflug zu rechnen. Grund genug für uns, […]