Umschulung Airbus 340: Tage 5-8
January 10th, 2011 by G!Tag 7 (Teil I)
Die Strassen sind leer, im Osten geht die Sonne in einer kitschigen Stimmung auf und kündigt den neuen Tag an. Einige Junge torkeln auf dem Trottoir mit dem Restalkoholgehalt einer durchzechten Nacht nachhause. Ein gewöhnlicher Sonntagmorgen um 0730 Uhr. Für andere vielleicht.
Rückblende: Tage 5+6
Als ich am Morgen nach der Überdosis Physik vom Wecker aufgeweckt wurde, überlegte ich mir wieder kopfschmerzenfrei, was heute auf dem Programm steht. Frei, also shoppen, skifahren oder gemütlich brunchen? Nicht wirklich, denn wie so oft im Pilotenleben, wenn frei draufsteht, aber nicht drin ist, gabs viel zu tun. Die technische Prüfung hinter mir und den Kopf noch voller Faktoren, die darüber entscheiden, ob 275 Tonnen fliegen oder nicht, gings daran, das theoretisch gelesene gelernte in die Praxis umzusetzen. Nur noch zwei Tage bis zum ersten Einsatz im Simulator. Wiederum mögen zwei Freitage nach vier Tagen Kurs dem einen oder anderen Manager Leser sehr viel vorkommen. Von “wow, zwei Tage frei!” gelangt man mit einem Blick darauf, was es in diesen zwei Tagen vorzubereiten gibt bzw. was nach diesen zwei Tagen verlangt wird, sehr schnell zu einem “wie soll ich das in zwei Tagen alles vorbereiten können?”. Auch hier gilt wiederum: hätte ich heute zum ersten Mal ein Buch ein PDF geöffnet, wäre der Flieger im Simulator wieder am Boden, bevor ich nur begriffen hätte, dass wir schon fliegen!
Eine Vorraussetzung beim Betreten des Simulators ist, dass die SOPs, die Standard Operating Procedures des neuen Flugzeuges bereits sitzen. Dazu gehören die Checklistenpunkte und ganz generell, “was wann wie gemacht/geflogen werden muss”. Während im täglichen Einsatz vorwiegend die “Normal Ops” Procedure gefragt sind, müssen für den Simulator natürlich neben diesen insbesondere die “Abnormals” vertieft gelernt werden. Dies nicht nur operationell (wie fliegt man mit dem Problem X?), sondern auch und vor allem technisch. Was passiert, wenn wir System X verlieren? Welche Systeme habe ich nach einem Triebwerksausfall (Engine Failure) noch? Gibt es einen Unterschied zum Triebwerksfeuer (Engine Fire)? Welche Werte und Limitationen gelten für einen Anflug mit einem Triebwerk weniger? Darf ich mit einem Triebwerksausfall den Anflug auf die Art X fliegen? Gibt es Einschränkungen? … Das natürlich nicht nur im Hinblick auf den Triebwerksausfall, sondern mit sämtlichen Systemen und insbesondere bei “double failures”, doppelten Systemausfällen. Hinzu kommt, diese Punkte operationell auf den Flugplatz, auf dem die Übung stattfindet, zu übertragen. Immerhin ist es in der ersten Session Zürich, unsere Homebase, bei der wir das Gelände und die An- und Abflugverfahren kennen. Es müssen nur noch einige A340-Spezialitäten vertieft werden.
Immer mit dabei sind die “by heart” items, die Punkte/Procedures, die wir immer drillmässig auswendig kennen und können müssen. Da wir diese natürlich schon in der täglichen Operation können müssen (aber hoffentlich nie brauchen), benötigt das nicht viel Zeit, da sie bei uns bis auf wenige Ausnahmen vereinheitlicht wurden (danke, Airbus!). Dann gehts an die sogenannten “Briefing Topics”, das sind Themen, die im Briefing besprochen und/oder im Simulator behandelt werden.
Wenn man das alles “im Kopf” hat, hilft es, wenn man mögliche Szenarien (dazu gehört immer der Engine Failure) gedanklich mehrmals durchspielt um den Ablauf und die Manipulationen “im Schlaf” zu können. Dies im Wissen, dass man im Simulator immer maximal nur halb so schlau und schnell ist, wie auf dem Boden…
Tag 7 (Teil II)
Um 0800 Uhr beginnt unser Briefing. Innerhalb von zwei Stunden bespricht der Instruktor einige zentrale Punkte. Diese können Flight Prodedures und/oder technische Systemen betreffen. Dazu kommen “hints und tips” aus seiner Erfahrung als Instruktor, Fluglehrer und Pilot auf dem A340. Gespickt wird das ganze natürlich mit Fragen an uns. Knapp zwei Stundenspäter ist das Briefing beendet. Nach einer kurzen Pause zur Verpflegung (Mittagspause? Fehlanzeige!) stehen wir pünktlich um 1000 Uhr, dem Beginn unseres Zeitfensters, vor dem Simulator, den unsere Kurskollegen gerade verlassen. Dann gehts zum ersten Mal in den A340 Simulator. Genaugenommen ist es nicht zum ersten Mal, denn der A340-Simulator ist derselbe wie derjenige für den A330. Je nach benötigter Konfiguration werden einige Panels ausgewechselt und die andere Software gestartet. Ziemlich beeindruckend!
Nach der Cockpit Preparation und dem Programmieren des Flight Management Systems nach den Vorgaben des Instruktors arbeiten wir wie gewohnt die Checkliste ab. Was bei welchem Punkt gemacht werden muss (sog. Expanded Checklist), muss jetzt natürlich bereits sitzen. Das Programm, durch welches uns der Instruktor vom dritten Sitz hinter unseren Sitzen führt, gibt vor, welches Crewmember wann fliegt und was mit welchen Fehlern zu fliegen ist. Diese Programme müssen vom Bundesamt bewilligt werden und den Vorgaben der Behörden und des Flugzeugherstellers entsprechen. Einige Minuten später startet mein Kollege zum ersten Mal einen A340, mit maximalem Startgewicht versteht sich, auf der Piste 16 in Zürich. Es fliegt, für einmal sogar ohne technische Defekte! Schliesslich muss auch einmal das neue Flugzeug mit seinen 275 Tonnen gefühlt werden. Dann gehen die Probleme aber los und nach dem Ablassen des Treibstoffes fliegen wir einen ersten Anflug in Zürich. Dass es nicht zur Landung kommt, wir durchstarten müssen und ein Triebwerk explodiert, ist schon fast erwartet.
In der Folge werden wir insgesamt vier Stunden, unterbrochen durch eine kurze Pinkelpause, durch den Luftraum des virtuellen, auf Google Maps basierten Zürich gejagt. Ausser einem Start und einer Landung einem Anflug wird uns keine “normal Operation” (mit sämtlichen Systemen) gegönnt. Um 1400 Uhr ist Schluss, denn die nächsten Kollegen unseres Kurses wollen auch Hand anlegen und mein T-Shirt ist wiedereinmal nass.
Nach einer kurzen Pause gehts ans Debriefing, für welches eine weitere Stunde vorgesehen ist. Es geht darum, die Leistung im Simulator revue passieren zu lassen, zu beurteilen ob die Ziele erfüllt wurden, hervorzuheben was gut war und was besser gemacht werden muss.
Um 1500 Uhr ist Feierabend. Der Kopf ist voll. Zuhause angekommen werfe ich alles hin und lege mich aufs Sofa. Erst einmal relaxen. Schön, um 1500 Uhr mit der Arbeit fertig zu sein? Schön … wäre es. Es geht wieder von vorne los, denn am nächsten Tag findet um dieselbe Zeit die nächste Übung statt.
Mit anderen Themen und auf einem neuen Flugplatz. Und das muss vorbereitet sein.
Tag 8
Neuer Tag, neues T-Shirt, dieselbe Zeit, derselbe Raum, dieselben Crewmember, derselbe Instruktor, derselbe Ablauf wie am Tag 7. Die Briefing Topics (und Fragen…) welchseln, so auch das Programm und die defekten Systeme im Simulator. Nach der Simulatorsession wieder Debriefing, dann folgt der Papierkrieg. Der Instruktor füllt uns unsere Qualifikation aus uns schreibt uns offziell “fit” für den Skilltest.
Um 1500 Uhr ist wieder Feierabend. Wir haben in zwei Tagen und acht Stunden Simulator enorm viel gelernt und wissen, was wir beim nächsten Mal besser machen möchten. Diese zwei Simulatorsessions haben uns die Unterschiede zwischen Airbus 330 (den wir schon kennen) und dem für uns neuen Airbus 340 praktisch näher gebracht. Wir haben den A340 mit einem und zwei (!) defekten Triebwerken geflogen, sind mit massivem “Übergewicht” (sog. “Overweight Landing”) und nahezu ohne Strom, nur mit zwei Bildschirmen (und wenigen anderen Systemen, die noch Strom hatten) gelandet und vieles mehr …
Das Lernen geht weiter, denn in zwei Tagen gehts wieder in den Simulator, zum offiziellen Check…
Posted in in the air, master warning, on the ground, technique matters | 9 Comments »
January 10th, 2011 at 21:15
Hey Guy!
Echt strenges programm! Finde es toll, dass du dir trotz des grossen Stresses Zeit nimmst uns daran “teilhaben” zu lassen 🙂
Viel Erfolg beim Check.
Gruess
Miggi
January 10th, 2011 at 21:40
Danke dir. Ich werde nach dem Check mal in den Büros nach dir suchen…
Die Zeit nehm ich mir, schliesslich schreib ich oft genug, wir schön wir es haben, das ist aber nur die halbe Wahrheit.
January 10th, 2011 at 21:50
Ja, ja den schönsten Arbeitsplatz auf der Welt muss man(n) sich halt auch verdienen. Ganz nach dem Motto ohne Schweiss kein Preis;-D…
January 11th, 2011 at 8:32
Wieder mal ein klasse Eintrag! Vielen vielen Dank, dass du neben dem Stress noch Zeit für deinen Blog findest! Finde es unendlich interessant und hervorragend geschrieben.
Bitte weiter so 🙂
Viele Grüße
Baschek
January 11th, 2011 at 14:25
Vielen Dank für den sehr interessanten Beitrag!
Eine Frage habe ich noch: Was passiert denn eigentlich bei einem double-engine failure auf einem A340? Reicht die Leistung der verbleibenden Triebwerke noch aus, um das Flugzeug auf einer konstanten Höhe zu halten, oder sogar noch zum langsamen steigen bzw. durchstarten?
January 11th, 2011 at 18:12
Ok würde mich freuen dich zu sehen 🙂
Ich bin ein Stock über dem ihr Unterricht hattet, hab kurz nachgeschaut.
January 13th, 2011 at 18:34
@NRG!
Ganz genau…
@baschek
Danke!
@Chris
Danke.. Etwas kann gesagt werden: fliegen tut (sogar ;-)) der A340 mit zwei Triebwerken. Welche Höhe man damit noch erreichen oder halten kann, hängt von vielen Variablen (Flugzeuggewicht, Temperatur, Flughöhe, Luftdruck, Wind usw.) hab. Das gilt auch für’s Durchstarten. Selbstverständlich gibt es einen Punkt, wo mit zwei Triebwerken in Sachen steigen nichts mehr möglich ist. Kontrolliert absinken und anfliegen geht aber immer. Was immer (egal ob eine zwei-, drei oder vierstrahlige Maschine) abgedeckt wird, ist der ONE engine out Fall. Man kann schliesslich nicht jeden Fall abdecken. Wenn man mit einem 4-strahligen Flugzeug auch jeden 2-engine out Fall abdecken müsste, könnte man darauf verzichten und nur zweimotorige bauen.
January 13th, 2011 at 19:30
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January 14th, 2011 at 21:09
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