Journalistische Inkompetenz I
May 28th, 2007 by G!Aus aktuellem Anlass ein Beispiel journalistischer Inkompetenz bei aviatischen Themen. Im Sonntagsblick vom 27. Mai 2007 waren auf Deutsch übersetzte Ausschnitte des Funkverkehrs von SWISSAIR 111 zu lesen. Dabei hiess es:
Nun, es braucht keinen Linienpiloten um zu wissen, dass "schwer" (original: "heavy") nicht das Geringste mit der Treibstoffmenge an Bord zu tun hat. Dann wäre wohl "full" treffender und es fragt sich, wie das Callsign mit halbvollem oder nahezu leerem Tank wäre…
Ich schätze, dass die Bedeutung des Callsign-Suffix Heavy in den ersten 5 Stunden der Privatpiloten Funkausbildung erklärt wird. Damit wäre sichergestellt, dass sogar der selbsternannte Schweizer Aviatikexperte diese Frage (für einmal: richtig!) beantworten könnte und ich bin mir sicher, dass er dies auch noch so gerne tun würde. Sollte dieser – unvorstellbar – für eine Auskunft nicht verfügbar sein, würde ich als letzte Quelle der Weisheit den absoluten Geheimtipp empfehlen: googeln (sorry, juristisch korrekt: mit Google suchen; für Blick Journalisten: www.google.com) Die Suchbegriffe >callsign "heavy"< ergeben doch 235’000 Hits und – oh Wunder – schon der erste Treffer ergibt die Lösung und auch in Wikipedia wäre man fündig geworden!
Heavy bezeichnet ein Flugzeug, dessen zulässiges Gesamtgewicht mehr als 136 Tonnen beträgt. (Medium: 7-136 t und Light < 7 t). Diese Einteilung wird für die Separation zwischen den Flugzeugen benötigt, da die Gefahr von aerodynamischen Turbulenzen ("Wake Turbulence", "Wirbelschleppen") mit zunehmendem Gewicht steigt. Mehr zu diesem Thema bei Wikipedia.
Soviel zu journalistischer Sorgfalt und Professionalität der meistgelesenen Schweizer Zeitung.
Folgende Frage sei erlaubt: Wenn bei dieser einfachen, leicht zu recherchierenden Thematik, schon so etwas Falsches geschrieben wird, frage ich mich, was mir Jounalisten bei komplexen Themen, bei welchen ich kein Hintergrundwissen habe, aufbinden [wollen]?!
Der Original-Funkverkehr von SWISSAIR 111 kann – von Blick unverfälscht – hier angehört werden.
Hinweis in eigener Sache: Ich werde – wie der Titel schon vorwegnimmt – bei weiteren journalistischen Ausrutschern diese kommentieren und richtigstellen. Dasselbe gilt bei sogenannten "Expertenaussagen". Ein Beitrag zu Letzterem ist bereits angedacht. Tips & Hinweise zu solchen nehme ich gerne (per Mail oder Kommentar) entgegen.
Posted in in the air, master warning | 13 Comments »
May 29th, 2007 at 8:52
Meiner bescheidenen Meinung nach ist es nicht nur ein journalistischer Faux pas solche Erklärungen zu bringen, aber was erwartet man anderes vom Blick und Co. Es ist viel mehr beschämend, dass dieses Tape überhaupt veröffentlicht wurde…. Was bringt’s, ausser dass viele traurige Momente und traurige Gedanken an liebe Freunde und langjährige Arbeitskollegen wieder genauso weh tun wir vor 9 Jahren…. Einziger Lichtblick, es kam nichts neues an den Tag, ausser der gewohnten Professionalität zweier Cockpit Kollegen, die das leider Unvermeidliche nach bestem Wissen und Gewissen zu verhindern versuchten und dabei leider mit vielen anderen ihr Leben lassen mussten. Noch heute denke ich auf auf dieser Rotation oft an die Beiden.
May 29th, 2007 at 13:43
JL, dem ist nichts beizufügen!
May 29th, 2007 at 17:18
>sogenannten “Expertenaussagen”
Wenn ihr Flieger euch schon beschert, dann werdet mal Informatiker…;-)
Ich glaub da ist jeder Mensch als Experte geboren und alle wissen alles besser. 😉 Vor euch hat man (oder zumindest sollten das die Menschen) zumindest so viel Respekt, dass man euch nicht ins Gesicht sagt, dass man dies und das besser weiß, obwohl das nicht der Wahrheit entspricht.
May 29th, 2007 at 18:34
🙂 Genau, leider gibts die Alleswisser überall. In der Schweiz gibts zu nahezu jedem Thema gegen 7’000’000 Experten. Da gibts nur eins: Die Fakten richtigstellen wo immer es geht.
Hatte sogar (“früher”) mal einen männlichen F/A dabei, der mir etwas zur Flugzeugperformance erklären wollte. Er lag leider doch etwas daneben…
May 31st, 2007 at 9:20
Schon mal am Funk in JFK gehört, dass sich ein Flugi mit dem Callsignzusatz “SUPER” gemeldet hat. Die lange Rollzeit ermöglichte es, die dicken Bücher zu konsultieren und siehe da, das Flugi hatte nicht etwa Super getankt, sondern es handelte sich um einen dieser überdimensionalen A380.
Sache gits!
May 31st, 2007 at 13:29
Jetzt stell Dir vor, Du hättest anstelle von langer Rollzeit und dicken Büchern nur eine kurze Rollzeit und den Blick zu Hand gehabt. Folge? Eben…Super getankt.
June 1st, 2007 at 8:00
(…) darum ist der Titel Deines Beitrages “Journalistische Inkompeten I” sehr gut gewählt. Ich freue mich auf die ersten hundert Folgen!
June 1st, 2007 at 10:59
…naja, ich kann wohl nicht jeden kommentieren, sonst gibt das hier einen 100%-Job. Und ab und zu haben wir Kurzstreckenflitzer auch noch einen Flug oder zwei…oder so.
March 16th, 2010 at 18:37
[…] im Callsign bedeutet (bzw. entgegen der grössten Schweizer Tageszeitung eben nicht), kann hier nachtgelesen […]
April 5th, 2010 at 13:04
Nun, bei mir wars immerhin in Theoriestunde 13: Grundlagen des Fluges -> Wake Turbulence
April 7th, 2010 at 12:23
IVI, bist du jetzt an der SAT?
September 2nd, 2010 at 12:46
Nein, war damals bei Sphair. und heute bei Swiss PSA.
September 2nd, 2010 at 12:52
Dann wünsche ich weiterhin viel Spass & Erfolg!